
Aktuelle Buchempfehlungen: David Szalay und Jane Austen
16/12/2025 | 24 mins.
Gleich zwei grosse Namen vereinigt dieses BuchZeichen eine gute Woche vor Weihnachten: Den des aktuellen Booker Prize-Träges David Szalay und den der britischen Literaturikone Jane Austen. Vor einem Monat gewann der 51jährige kanadisch-ungarisch-britische Autor David Szalay den Booker Prize. Es ist der wichtigste britische Literaturpreis, und Szalay bekam ihn für ein Buch, das im Original den provozierenden Titel «Flesh» (menschliches Fleisch) trägt und von einem vermurksten Männerleben erzählt. Der deutsche Titel, «Was nicht gesagt werden kann», trifft es aber auch. Szalays Held ist ein Mann ohne Worte. Er ist eine Leerstelle und eine Projektionsfläche, insbesondere für die Frauen. Sein Lone-Wolf-Gebaren gefällt ihnen – bis sie ihn wieder loshaben wollen. Schillernd und schroff erzählt David Szalay davon, was es heissen kann, ein Mann zu sein. Ihre Romane wie «Stolz und Vorurteil», «Emma» oder «Überredung» haben sich in den literarischen Kanon und auch in die Herzen vieler Lesenden eingeschrieben. Doch Jane Austens Leben war nicht ganz so rosig, wie die Happy Ends ihrer Bücher. Sie blieb bis zu ihrem frühen Tod unverheiratet und kämpfte um Anerkennung für ihr Schreiben. Die Graphic Novel von Austen-Expertin Janine Barchas, illustriert von Isabel Greenberg bietet einen einzigartigen Einblick in Austens Biografie. Wir lernen, wo Austen auf Gegenwind traf, wo sie Inspiration fand und wo ihre Unterstützerinnen. leichter Einstieg für angehende Austen-Fans und ein Muss für Austen-Begeisterte meint Ariane Schwob. Buchhinweise: David Szalay. Was nicht gesagt werden kann. Aus dem Englischen von Henning Ahrens. 384 Seiten. Classen, 2025. Janine Barchas und Isabel Greenberg. Jane Austen. Ihr Leben als Graphic Novel. Aus dem Englischen von Eva Bonné. 144 Seiten. Penguin, 2025.

Aktuelle Buchempfehlungen: Daniel Mezger und Daniel Wisser
09/12/2025 | 29 mins.
In seinem neuen Roman «Bevor ich alt werde» spürt der Schweizer Autor Daniel Mezger einer existentiellen Frage nach. Und sein österreichischer Namensvetter, Daniel Wisser, wirft mit seinem neuen Buch «Smart City» einen Blick in eine mögliche Zukunft. Würden Sie wissen wollen, wenn Sie eine unheilbare Krankheit in sich tragen – oder würden Sie lieber im Ungewissen bleiben? Diese Frage steht im Zentrum des Romans «Bevor ich alt werde» des Schweizer Autors Daniel Mezger. Die Protagonistin Charlotte ist Musikerin und stürzt sich auf Konzertbühnen ins volle Leben. Ihre Mutter hingegen leidet an einer tödlichen Krankheit, die durch Vererbung weitergegeben werden kann. Charlotte scheut den Test, der ihr lähmende Gewissheit oder befreiende Klarheit verschaffen würde. Aber spätestens mit Charlottes Kinderwunsch rückt die Krankheit näher. «Bevor ich alt werde» ist ein intimes Mutter-Tochter-Porträt, das Tim Felchlin vor allem wegen seiner musikalischen Sprache überzeugt. NEUDA ist eine künstliche Stadt. Abgeschirmt von der Umwelt gibt es dort all das, was heute in der Politik diskutiert wird: Sicherheit, Nachhaltigkeit und vor allem: keine Migration. Doch das hat seinen Preis. Die Bewohnerinnen und Bewohner NEUDAS geben dafür einen Teil ihrer Freiheit und demokratischen Grundrechte ab. Der österreichische Schriftsteller Daniel Wisser spielt anhand seiner «Smart City» durch, wie die Forderungen gewisser politischer Strömungen in der Realität aussehen könnten. Michael Luisier bringt das Buch an den Literaturstammtisch. Buchhinweise: Daniel Mezger. Bevor ich alt werde. 336 Seiten. Atlantis, 2025. Daniel Wisser. Smart City. 416 Seiten. Luchterhand, 2025.

Aktuelle Buchempfehlungen: Die besten Bücher im Dezember/Januar
02/12/2025 | 22 mins.
Am Literaturstammtisch stellen wir heute drei Bücher vor, die von einer Fachjury zu den lesenswertesten Büchern des Monats gekürt worden sind: «Auf ganz dünnem Eis» von Peter Stamm, «Haus zur Sonne» von Thomas Melle und «In der Tiefe des Tigris schläft ein Lied» von Usama Al Shahmani. Die SRF-Bestenliste wird jeden Monat von einer Fachjury bestimmt. Zur Jury gehören 50 Buchkritikerinnen, Bibliothekare, Buchhändlerinnen, Literaturwissenschaftler und Vertreterinnen von literarischen Institutionen. Der Schweizer Schriftsteller Peter Stamm braucht nur wenige Worte, um ganze Leben zu erzählen. Sein neuer Erzählband «Auf ganz dünnem Eis» versammelt neun Geschichten, sprachlich klar und unverwechselbar. Die Figuren in den Erzählungen stehen mitten im Leben, mitten im Alltag. Und genau dort passiert das Überraschende: Stamm macht das Kleine gross, das Unspektakuläre spektakulär, meint SRF-Literaturredaktorin Jennifer Khakshouri. Der 50jährige deutsche Schriftsteller Thomas Melle leidet seit jungen Jahren an einer besonders schweren Form der bipolaren Störung. 2016 machte er seine Krankheit mit einem furiosen Buch öffentlich. Mit «Die Welt in Rücken» glaubte er, das Schlimmste hinter sich zu haben. Doch er hatte sich getäuscht. Die Krankheit kam heftiger denn je zurück. Das neue Buch zu Thomas Melles Erkrankung konzentriert sich auf die enorme Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, die auf eine Manie folgt und gleitet in eine bitterböse Dystopie: Verzweifelten Menschen bietet das Sozialamt einen Aufenthalt in einem Sanatorium an, wo man ihnen ein paar Wochen lang alle Lebenswünsche erfüllt und sie danach in den Tod entsorgt. Klug, unverblümt, oft auch witzig stellt Thomas Melle in «Haus zur Sonne» Fragen, die alle etwas angehen, findet Franziska Hirsbrunner. In seinem neuen Roman erzählt der in Bagdad geborene und seit über 20 Jahren in der Schweiz lebende Autor Usama Al Shahmani von Heimat, Herkunft, Verlust und Versöhnung. Die Handlung: Der in Zürich lebende Israeli Gadi reist ans Sterbebett seines Vaters. Zurück bleibt er mit einer Tasche voll Aufzeichnungen. Beim Lesen entdeckt Gadi die verdrängte Vergangenheit seines Vaters: ein jüdisches Leben im Irak, geprägt von Ausgrenzung und Flucht. Ein wichtiges Buch, auch um das aktuelle Zeitgeschehen zu verstehen, findet SRF-Literaturredaktorin Annette König. Buchhinweise: Peter Stamm. Auf ganz dünnem Eis. 192 Seiten. S. Fischer, 2025. Thomas Melle. Haus zur Sonne. 320 Seiten. Kiepenheuer & Witsch, 2025. Usama Al Shahmani. In der Tiefe des Tigris schläft ein Lied. 224 Seiten. Limmat, 2025.

Aktuelle Buchempfehlungen: Doppelt aktuell
25/11/2025 | 24 mins.
Der Literaturstammtisch bespricht heute «Wir dachten, wir können fliegen», einen Erzählband herausgegeben von Matthias Jügler mit Geschichten zum Thema Artensterben, und «Heimat», einen Roman zum Thema «Tradwives» von Hannah Lühmann. Der 41jährige deutsche Schriftsteller und Herausgeber Matthias Jügler ist seit Kindheit ein begeisterter Angler. Das Artensterben begegnet ihm bei seinem Hobby immer wieder. Aber dass pro Tag 150 Arten aussterben, wusste er nicht. Als Akt des Widerstands bat er 19 Autorinnen und Autoren, über ein ausgestorbenes Tier oder eine ausgestorbene Pflanze zu schreiben. Von T. C. Boyle (Goldkröte) über Charlotte Gneuss (Mituhokko) und Kim de l’Horizon (Schuppenkehlmoho) bis hin zu Caroline Wahl (Beutelwolf) steuerten die Angefragten wunderbare Geschichten bei. Sie lassen Arten wiederauferstehen, vermitteln aber auch ein Gefühl für den unwiederbringlichen Verlust. Zudem sind sie auf witzige Art lehrreich. Eine Lektüre, die die Literatur feiert, sehr viel Spass macht und zum Nachdenken anregt, findet Franziska Hirsbrunner. Die deutsche Autorin Hannah Lühmann hat einen Social-Media-Trend zum Thema ihres neuen Romans «Heimat» gemacht: das der «Tradwives», also jener Frauen, die sich ihrer Familie und nicht zuletzt ihren Männern unterordnen, Bilder und Videos aus ihrem Alltag auf Instagram und TikTok posten. Im Roman geht es um die junge Mutter Jana, die aufs Land zieht, dort auf eine solche scheinbar «perfekte Hausfrau» trifft und sich von deren Lebensstil mehr angezogen fühlt, als sie je von sich selbst gedacht hätte. Ein hochaktuelles Buch, sagt Literaturredaktorin Katja Schönherr. Buchhinweise: Matthias Jügler (Hrsg.) Wir dachten, wir könnten fliegen. 256 Seiten. Penguin, 2025. Hannah Lühmann. Heimat. 176 Seiten. hanserblau, 2025.

Aktuelle Buchempfehlungen: John Irving und Florian Illies
18/11/2025 | 29 mins.
Der amerikanische Autor John Irving kehrt zurück an den Schauplatz seines Weltbestsellers «Gottes Werk und Teufels Beitrag». Und der deutsche Autor Florian Illies reist mit der Familie von Thomas Mann nach Südfrankreich. Jimmy Winslow hat zwei Mütter. Bereits diese Ausgangslage ist sinnbildlich für Irvings Generationenroman «Königin Esther». Die unkonventionelle, aber liebevolle Familienkonstellation steht im Zentrum des Buches. Jimmy Winslow wächst behütet auf, geschützt von zweifacher Mutterliebe. Und so scheinen die Turbulenzen des 20. Jahrhunderts dem angehenden Schriftsteller nichts anhaben zu können auf seiner Suche nach der eigenen Identität. Ein eindeutig politisches Buch wie man es von Irving kennt, findet Ariane Schwob. Als Hitler 1933 in Deutschland die Macht ergriff, floh der Schriftsteller Thomas Mann mit seiner Familie nach Sanary an die Côte d’Azur. Vom aussergewöhnlichen Sommer einer aussergewöhnlichen Familie erzählt Florian Illies in seinem neuen Buch «Wenn die Sonne untergeht». Lebendig und mit viel Amüsement montiert er zahlreiche Anekdoten und Geschichten zu einem literarischen Biopic. Dieses Buch ist auch für all jene ein Lesegenuss, die Thomas Manns Werk noch nicht kennen, verspricht Tim Felchlin. Buchhinweise: John Irving. Königin Esther. Aus dem amerikanischen Englisch von Peter Torberg und Eva Regul. 560 Seiten. Diogenes, 2025. Florian Illies. Wenn die Sonne untergeht. Familie Mann in Sanary. 336 Seiten. S. Fischer, 2025.



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